Page 10 - FAQ Kraftsymposium 2019
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langwandernde Myosinmolekül erhöht sich der Überlapp mit den Actinfäden, ähnlich wie die Finger von zwei
Händen, die dichter ineinander gleiten. Das Sarkomer verkürzt sich dadurch in Längsrichtung, es kontrahiert.
Nach jedem Wanderungsschritt wird die eingesetzte Energie aus der ATP-ADP-Umwandlung als Wärme an das
umliegende Gewebe abgegeben – der Grund, weswegen durch Muskelarbeit stets spürbar Wärme erzeugt
wird 1 , 2 . Hört die nervale Aktivierung auf, können die Myosinköpfchen wieder in ihre Ausgangslage zurückglei-
ten, wodurch sich die Sarkomerlänge wieder verlängert. Erst seit Kurzem weiß man übrigens, dass nicht nur die
Actin-Myosin-Verbindungen, sondern auch das elastische Titin aktiv zur Sarkomerkontraktion beiträgt .
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Da die Aktivierung aller Sarkomere einer Muskelfaser grundsätzlich über dieselbe motorische Endplatte und
somit über dieselbe „Telefonleitung“ erfolgt, gilt für die Muskelfasern des Skelettmuskels das „Alles oder nichts“-
Prinzip. Das heißt, alle Myofibrillen einer Muskelfaser können nur gleichzeitig kontrahieren oder entspannen,
wodurch die gesamte Muskelzelle entweder maximal oder gar nicht kontrahiert 1 , 2 . Grundsätzlich werden alle
willentlichen Kontraktionen unserer Skelettmuskeln nicht durch einzelne elektrische Nervenimpulse, sondern
durch eine Vielzahl kurz hintereinander ausgesandter Impulse gesteuert, man spricht dabei auch von Frequen-
zierung 1 , 2 . Durch diese kurze Abfolge elektrischer Kontraktionsreize überlagern sich mehrere Einzelkontraktio-
nen der Muskelzelle, wodurch die Gesamtkraft einer Muskelfaser im Vergleich zu einer Einzelkontraktion mehr
als verdoppelt wird . Bei dieser Form der frequenzierten nervalen Muskelaktivierung spricht man auch von
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(vollständiger) tetanischer Kontraktion (Tetanisierung). Einzelzuckungen treten bei gesunden Skelettmuskeln
hingegen nur bei Eigenreflexen und somit unwillkürlich auf 1 , 2 .
Wie ist es nun aber trotz dieses „Alles oder nichts“-Prinzips möglich, dass wir sehr wohl die Krafterzeugung z. B.
unserer Gliedmaßen oder Hände sehr fein abstufen können? Hier macht sich die Natur das Prinzip der varia-
blen Rekrutierung zu Nutze: Zwar kontrahieren nach obigen Überlegungen einzelne Muskelfasern (tetanisch)
entweder zu 100 % oder 0 %, doch können durch die (uns kognitiv nicht bewusste) Wahl, welche Muskelfasern
eines Muskels kontrahieren, entweder nur wenige oder zahlreiche Muskelfasern eines Muskels gleichzeitig akti-
viert, man sagt auch rekrutiert, werden. Eine Gruppe von mehreren Muskelzellen, eine sog. motorische Einheit,
wird dabei jeweils von einem separaten Motoneuron innerviert. Je nachdem, welche und wie viele Motoneu-
ronen gleichzeitig „feuern“, kontrahieren wenige oder zahlreiche motorische Einheiten des Muskels 1 , 2 . Unser
Gehirn und Rückenmark leisten dabei eine beachtliche logistische Arbeit, indem sie für diese willentliche Kraft-
entwicklung i. d. R. ständig andere motorische Einheiten rekrutieren, wodurch eine Art „Rotation“ zwischen den
Muskelfasern wie bei einer (sehr großen) Fußballmannschaft stattfindet. Auf diese Weise wird eine einzelne
Muskelfaser effizient vor energetischer und struktureller Überlastung geschützt . Erst dann, wenn die
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aufzuwendende Kraftanstrengung maximal wird, muss der Großteil aller motorischen Einheiten ei-
nes Muskels gleichzeitig rekrutiert werden, wodurch dieser dann jedoch auch schnell ermüdet.
In diesem Ausnahmezustand einer Maximalanstrengung kann man das Zusammenspiel von
hoher Frequenzierung und synchroner Rekrutierung des Großteils aller Muskelfasern ei-
nes Muskels, man spricht auch von Synchronisation, gut beobachten: Der Muskel
beginnt sichtbar zu „zittern“ – ein deutliches Zeichen, dass die Intensität der Kraf-
terzeugung nicht mehr lange aufrechterhalten werden kann . Für den Sport-
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ler ist überdies interessant zu wissen, dass die Fähigkeit, möglichst viele
Muskelfasern gleichzeitig in einem Muskel zu rekrutieren, auch vom
Trainingszustand abhängt. Während ein untrainierter Mensch wil-
lentlich nur ca. 50 % aller Muskelfasern eines Muskels gleichzei-
tig rekrutieren kann, erreicht ein trainierter Athlet ein Ver-